Einführung der Strafbarkeit der Steuerhinterziehung in Dubai und Verlängerung der Verjährung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung

Das Landgericht Lübeck hat mit Beschluss vom 11.01.2024 – 6 KLs 12/12 – die Frist für die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung um fünf Jahre verlängert. Der Verurteilte hatte sich vor Vollstreckung der Strafe nach Dubai abgesetzt, wo er sich bis heute aufhält. Nach § 79b StGB kann das Gericht die Verjährungsfrist vor ihrem Ablauf auf Antrag der Vollstreckungsbehörde einmal um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängern, wenn der Verurteilte sich in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann.

Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen von einem fortdauernden Bedürfnis nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe ausgeht. Nach Auffassung des Landgerichts Lübeck ist insbesondere bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO davon auszugehen, dass auch noch nach längerer Zeit ein Bedürfnis für die die Strafvollstreckung besteht. Dies habe der Gesetzgeber auch durch die (beispiellose und bei der absoluten Verjährung von 37,5 Jahren nach § 376 Abs. 3 AO) an die Frist für Totschlag heranreichende) Verlängerung der Verfolgungsverjährung der besonders schweren Steuerhinterziehung zum Ausdruck gebracht.

Gegen den Beschluss des Landgerichts ist nach § 462 Abs. 3 S. 1 StPO die sofortige Beschwerde statthaft.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Landgericht Lübeck hatte den deutschen Steuerstraftäter am 15. Januar 2014 rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. In fünf der acht Fälle handelte es sich um besonders schwere Steuerhinterziehungen. Der verursachte Steuerschaden belief sich insgesamt auf rund eine Million Euro.

Der Verurteilte wurde am 22. Februar 2014 zum Strafantritt geladen. Nachdem er dieser Aufforderung nicht nachkam, erließ die Staatsanwaltschaft Lübeck am 17. März 2014 einen Haftbefehl. Eine Auswertung der Verbindungsdaten des Mobilfunkanschlusses seiner Ehefrau ergab, dass der Verurteilte sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) aufhielt. Eine Überprüfung der Einwanderungsdaten bestätigte, dass der Verurteilte seit dem 13. Mai 2014 in den VAE verweilte.

Da zwischen Deutschland und den VAE kein Auslieferungsabkommen besteht, ersuchte die Staatsanwaltschaft Lübeck die Justizbehörden der VAE mit einem Schreiben vom 30. Juli 2015, übersandt durch die Deutsche Botschaft am 11. April 2016, um die Auslieferung des Verurteilten.

Am 25. November 2016 wurde der Steuerhinterzieher aufgrund internationaler Fahndung in Dubai festgenommen. Mit einem weiteren Schreiben der Deutschen Botschaft vom 8. Januar 2017 wurden zusätzliche Unterlagen eingereicht und die Regierung der VAE erneut um Auslieferung ersucht.

Mit einem Schreiben seines Anwalts vom 27. Dezember 2016 erklärte der Verurteilte seine Bereitschaft, sich freiwillig der Strafvollstreckung zu stellen, und bat um Aussetzung des Haftbefehls. In einer E-Mail an die Deutsche Botschaft vom 27. Januar 2017 ersuchte er um Unterstützung, um ohne Verhaftung nach Deutschland einreisen zu können und sich dort zu stellen. In der E-Mail erklärte er, dass ihn die Ladung zum Haftantritt im Februar 2014 im Ausland erreicht habe und er in Panik im Ausland geblieben sei. Seine schwangere Ehefrau und seine Kinder seien bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt.

Das Justizministerium der VAE wies am 6. Februar 2017 darauf hin, dass Steuerhinterziehung in den VAE nicht strafbar sei und somit die doppelte Strafbarkeit nicht gegeben sei.

Im Juni 2017 teilte die Staatsanwaltschaft Dubai mit, dass der Verurteilte eine freiwillige Überstellung an die deutschen Behörden abgelehnt habe und auch keinen Antrag auf freiwillige Überstellung gestellt habe. Im August 2017 informierte das Deutsche Generalkonsulat, dass der Verurteilte mehreren Aufforderungen, vorzusprechen, nicht nachgekommen sei und sein Reisepass von den emiratischen Behörden sichergestellt worden sei.

Am 18. Dezember 2017 zog die Staatsanwaltschaft Lübeck ihr Auslieferungsersuchen mit der Begründung zurück, dass eine Bewilligung nicht möglich sei.

Am 11. Oktober 2018 informierte der Steuerhinterzieher das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein telefonisch darüber, dass er wisse, dass er sich jederzeit an die Deutsche Botschaft wenden könne, um mit einem Passersatz kontrolliert nach Deutschland zu reisen.

Im Februar 2020 gab das Auswärtige Amt an, dass der Steuerhinterzieher weiterhin in Dubai lebe und ihm aufgrund offener Verbindlichkeiten die Ausreise gerichtlich untersagt worden sei. Hintergrund seien ungedeckte Schecks, zivilrechtliche Forderungen und ein unbezahltes Bußgeld.

Am 10. Januar 2021 erhielt der Steuerhinterzieher vom deutschen Generalkonsulat in Dubai einen bis zum 5. Dezember 2030 gültigen Reisepass.

Am 15. März 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft Lübeck die Verlängerung der Vollstreckungsverjährungsfrist um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist. Der Verurteilte gab über seinen Anwalt an, weiterhin zur freiwilligen Ausreise aus Dubai bereit zu sein, was jedoch an der gegen ihn verhängten Ausreisesperre scheitere.

Im Mai 2023 teilte das Bundesamt für Justiz mit, dass in den VAE inzwischen die Strafbarkeit von Steuerhinterziehung festgelegt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Lübeck stellte daraufhin am 6. Juli 2023 ein erneutes Auslieferungsersuchen und bat um Mitteilung bis Ende Oktober 2023, ob das Ersuchen bewilligt werde. Bislang liegt keine Antwort vor. Das Auswärtige Amt hat die Wiedervorlage auf den 20. Januar 2024 festgelegt.

Auf Anfrage des Landgerichts Lübeck teilte das Bundesamt für Justiz am 11. Dezember 2023 mit, dass bisher keine erfolgreiche Auslieferung aus den VAE stattgefunden habe.

Das Landgericht Lübeck hat hierüber entschieden:

Die Vollstreckungsverjährungsfrist ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft Lübeck gem. § 79b StGB um fünf Jahre zu verlängern.

Die Frist kann vor ihrem Ablauf auf Antrag der Vollstreckungsbehörde um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert werden, wenn der Verurteilte sich in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann.

Die Vollstreckungsverjährungsfrist läuft bis einschließlich zum 14.1.2024, ist also noch nicht abgelaufen. Sie beträgt gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 5 StGB zehn Jahre ab Rechtskraft der Entscheidung, hier dem 15.1.2014. Sie endet mit Ablauf des Tages, der kalendermäßig dem Tag des Fristbeginns vorgeht, hier also dem 14.1.2024.

Der Verurteilte befindet sich in einem Gebiet, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann.

Mangels Auslieferungsabkommens besteht kein Rechtsanspruch gegen die VAE auf Auslieferung [des Steuerhinterziehers]. Daher können die VAE lediglich auf diplomatischem Weg um seine Auslieferung ersucht werden. Dies war bis zur Einführung des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung in den VAE wenig erfolgversprechend. Wie hoch die Erfolgsaussichten nunmehr sind, vermag die Kammer nicht zu beurteilen; jedenfalls wird über das entsprechende Gesuch der Staatsanwaltschaft Lübeck nicht vor Ablauf der Vollstreckungsverjährungsfrist entschieden werden.

Dabei hat die Staatsanwaltschaft Lübeck – bislang erfolglos – alles Erforderliche und zumutbar Mögliche unternommen, um einen Strafantritt [des Steuerhinterziehers] innerhalb der Vollstreckungsverjährungsfrist zu bewirken.

Bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ist die Vollstreckungsverjährungsfrist zu verlängern.

Hierdurch könnte die durch Einführung der Strafbarkeit der Steuerhinterziehung in Dubai gestiegene Wahrscheinlichkeit einer Auslieferung [des Steuerhinterziehers] noch genutzt werden.

Das Bedürfnis nach Vollstreckung der vom Landgericht Lübeck gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe besteht fort. [Der Steuerhinterzieher] hat Steuern in erheblicher Höhe von rund 1.000.000 € verkürzt. Bei fünf der ausgeurteilten Taten handelte es sich um Steuerhinterziehungen jeweils in besonders schwerem Fall. Das Interesse des Staates daran, besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung nach langer Zeit noch zu sanktionieren, hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er die in § 376 Abs. 1 AO geregelte Verfolgungsverjährungsfrist ab 29.12.2020 auf 15 Jahre verlängert hat.

Weiterhin rechtfertigt das [des Steuerhinterziehers] nach seiner Verurteilung gezeigte Verhalten die Verlängerung der Vollstreckungsverjährungsfrist. Soweit ersichtlich ist der [Steuerhinterzieher] ausschließlich nach Dubai verzogen, um sich der Strafvollstreckung zu entziehen. Seine Familie ist längst wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Seiner Behauptung, nach Deutschland kommen und sich hier freiwillig der Strafvollstreckung stellen zu wollen, hat er, bis die Ausreisesperre gegen ihn verhängt wurde, keine entsprechenden Taten folgen lassen. Aus seinen jetzigen Lebensumständen ergeben sich keine Gesichtspunkte, welche eine Verlängerung der Verjährungsfrist unbillig erscheinen ließen. Vielmehr spricht der Hintergrund der mittlerweile gegen ihn verhängten Ausreisesperre (Ausstellung ungedeckter Schecks, zivilrechtliche Forderungen und ein nicht bezahltes Bußgeld) dafür, dass es ihm bisher nicht gelungen ist, sich eine solide Lebensgrundlage aufzubauen.

Die gesetzliche Verjährungsfrist beträgt vorliegend zehn Jahre, die Verlängerung erfolgt somit um fünf Jahre.

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